Saarbrücker Zeitung SA/SO, 26./27. SEPT. 2009 THEMEN DES TAGES SEITE A3 (Auszüge)
Hasso oder: Krimsekt und Klassik für alle
Bevor Hasso Müller-Kittnau (56) seine Agentur „KulTour“ verkaufte, war er des Saarlands erfolgreichster Kultur-Unternehmer. Außerdem ist er Wagnerianer…
Von SZ-Redakteurin Cathrin Elss-Seringhaus
Saarbrücken. Ihm fehlt ein gesundes Phlegma, also auch das Talent zum Privatisieren. 60Stunden-Wochen im „Hamsterrad“ seiner KulTour-Agentur waren bis 2006 Alltag für Hasso Müller-Kittnau. „Es wurde nie Routine“, sagt er. „Jede Veranstaltung war wie die erste. Ich fühlte mich jedes Mal unter Starkstrom.“ Kein Wunder: Bei einem Flop standen bis zu 200 000 Euro auf der Kippe. Aber einer wie Kittnau kann nicht anders, er muss Publikum hereinlassen. Morgen, am „Tag der Bildenden Kunst“, funktioniert der Ex-KulTour-Agentur-Chef seinen Garten zur Galerie um. Er verschafft Skulpturen von Roland Hoffmann zu einem Auftritt – und sich als Gastgeber natürlich auch. Eine Ideal-Situation: Kittnau kann als Management -begabter Dienstleister künstlerischeoder politische Anliegen, vor die eigene Person schieben und trotzdem präsent bleiben.
Gespräche über unternehmerischen Erfolg keineswegs peinlich. Über 1000 Veranstaltungen und zwei Millionen Besucher– statistisch gesehen hat Kittnau bereits jeden Saarländer zweimal empfangen, in der Congress- oder Saarlandhalle.
1988 gründete der gelernte Buchhändler, bis dahin Filialleiter des legendären Buchladens „Lenchen Demuth“, seine Firma, nicht um „Kohle zu machen, sondern um meinen eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Zur Selbstständigkeit gab es keine Alternative“. Denn als Vorsitzender der gewerkschaftlichen Tarifkommission hätte ihn kein Buchhändler angestellt. So baute der damals schon routinierte Buchausstellungs- und Lesungs-Organisator über die Jahre seine Firma zur größten Event- und Konzertagentur des Landes aus, trainierte sich über Seminare die Arbeitgeber-Sichtweise an, lernte, den eigenen Geschmack von dem des Publikums zu trennen, entwickelte „starke Nerven“ und behielt, wie er meint, sein weiches Herz. Nur zwei Mal in 18 Jahren sprach er Entlassungen aus, bei einer Beschäftigung von 20 festen und bis zu 200 freien Mitarbeitern.
Und obwohl Kittnaus Kerngeschäft im Kommerz-Segment lief, schaffte es KulTour zur respektierten Kultur-Adresse. Denn man holte zwischen „Nussknacker“, „Phantom der Oper“ und „I Musici“ nicht nur Gefälliges an die Saar, sondern profilierte sich mit linker Gesinnungs-Kunst, durch Degenhardt, Theodorakis, Wader, Wecker. Später kamen Elite-Musiker hinzu – Sir Menuhin, die Caballé, die London Philharmonia. Im Job war Kittnau zum Klassik-Kulinariker und Wagnerianer gereift. „Wir arbeiteten mit Leuten, die auch die Musikfestspiele Saar geschmückt hätten. Aber wir mussten im Feuilleton um jede Zeile ringen.
Das feuert Kittnau auch heute noch vorwurfsvoll in die Runde. Obwohl er gelassen sein könnte, seit er KulTour vor drei Jahren an eine Mitarbeiterin verkaufte. Warum? „Nach José Carreras war keine qualitative Steigerung mehr drin“, sagt er. Einen noch fetteren Fisch hätte er nur noch für 500 000 Euro und mehr an
die Angel bekommen: „Aber über Kartenverkauf ist das im Saarland nicht refinanzierbar.“ Also Schluss, ohne Geldsorgen, dem Geschäfts-Ertrag der vergangenen Jahre sei Dank, aber mit seelischen Strapazen. Der „Fast-Workaholic“ schlägt sich durch eine Umbruchs-Situation. Hat zusammen mit Stephan Wolsdorfer die Kultur- und Unternehmensberatung „arsdefacto“ gegründet, hat für den LSVD den Christopher Street Day und das Straßenfest organisiert und strahlt mit der Sonne um die Wette über die Verdoppelung der Teilnehmerzahl. Jawohl, Erfolg macht glücklich. Vor allem müsse er sich, sagt Kittnau, seit die Arbeit weniger geworden ist, zur „Frustbefriedigung“ weit weniger belohnen. Dafür leiste er sich das Privileg, nicht nach einer neuen Beschäftigung, sondern nach Sinn im Tun zu suchen.
…. Allein diese Aufzählung steht für das gigantisch aufgespannte Feld, das Kittnau wie ein Libero bespielt. Alle Achtung: ohne Glaubwürdigkeits-Eigentore.
Hasso Müller-Kittnau am heimischen Schwimmteich. Foto: Dietze